Anwenderbericht NEUGART

 

Komplettbearbeiten in der Serie

Auf den über 5000 m²  Fertigungsfläche im Werk 2 bei Neugart in Kippenheim fällt die Vielzahl an Maschinen von Yamazaki Mazak ins Auge. Dazu berichtet Geschäftsführer Thomas Herr: »Seit unserer Neuorientierung zu Beginn der 1990er-Jahre arbeiten wir bei Neugart auf Maschinen von Mazak. Seinerzeit hatten die kurzen Lieferzeiten den Ausschlag gegeben,Maschinen dieses Herstellers zu bevorzugen. Sie haben sich in der Folge bei uns für die Großserie wie auch bei häufiger wechselnden Werkstücken in kleinen und mittleren Serien bestens bewährt.

Der heutige Getriebehersteller Neugart in Kippenheim geht auf das von Karl Neugart im Jahr 1928 gegründete Unternehmen für Feinwerktechnik zurück. Auf wenigen gebrauchten Maschinen produzierte Neugart verzahnte Werkstücke und feinwerktechnische Bauteile unter anderem für – seinerzeit noch mechanische – Büro- und Rechenmaschinen und andere feinmechanische Apparate. Im Jahr 1943 siedelte das Unternehmen nach Kippenheim um. So war man unabhängig von Jahreszeiten besser für den Transport von Rohmaterial und Fertigprodukten erreichbar.

Bis im Jahr 1972 fertigte Neugart ausschließlich ›ab Zeichnung‹ und war somit reiner Zulieferer und Lohnfertiger für regionale Hersteller. Eine richtungsweisen de Neuorientierung ergab sich im nachfolgenden Jahrzehnt mit der Entwicklung kompletter Getriebe für Schrittmotoren des benachbarten Antriebstechnik-Herstellers Berger in Lahr (heute Schneider Electric). Seit den 1980er-Jahren führen Thomas Herr und sein Cousin Bernd Neugart in dritter Generation den Getriebehersteller. Das Produktspektrum umfasst heute eine Vielzahl an modular aufgebauten Standardgetrieben für zu übertragende Leistungen von einigen Watt bis zu mehreren Kilowatt. Das betrifft beispielsweise Stirnrad und Planetengetriebe für Schrittmotor und Servomotorantriebe im Maschinen und Anlagenbau, für Roboter und Handhabungstechnik, für Druckmaschinen sowie zum Beispiel auch für Radnaben-Antriebe in Rollstühlen, Rasenmähern und Elektrofahrzeugen auf Golfplätzen (Caddys). Darüber hinaus entwickelt Neugart in enger Zusammenarbeit mit Aufraggebern immer wieder Sondergetriebe. Dazu gehören zum Beispiel Bauformen mit koaxialen, axial oder um einen Winkel gegeneinander versetzt angeordneten An und Abtriebswellen.

Diese werden nach der Entwicklung und Erprobung dann für Auftraggeber über mehrere Jahre in Serien gefertigt. Dazu erläutert Herr: »Für etwa 80 Prozent der uns gestellten Aufgaben können wir unsere Standardgetriebe einsetzen, für den Rest konzipieren wir spezielle Lösungen. Allerdings greifen wir dabei auf unseren modularen Baukasten zurück, um die Vielfalt an Bauteilen so klein wie möglich zu halten.« Einhergehend mit dem Aufbau eines umfassenden Produktprogramms hat sich das Kippenheimer Unternehmen mit Vertriebsniederlassungen in nahezu allen Ländern Europas, in der Türkei und in Brasilien sowie mit eigenen Produktionsstätten in den USA und in China zu einem weltweit renommierten Getriebehersteller entwickelt.

Kompetent für Systemlösungen

 

Danach befragt, wie aus einem regionalen Lohnfertiger für Verzahnungs- und Drehteile so schnell ein global anerkannter Getriebehersteller wird,berichtet Herr: »Wir überzeugen unsere Auftraggeber mit unserem umfassenden Know-how von der Konstruktion, der Konzeption und der Berechnung bis hin zur eigenen Fertigung. Wir sehen unsere Getriebe stets in Verbindung mit dem Antriebsmotor als Systemlösung. Bereits in der Planung und Konzeption legen wir wesentliche Merk male fest, die über Leistung, Wirkungsgrad, Lebensdauer, Energieeffizienz, Geräuschentwicklung und Genauigkeit des Antriebs entscheiden.« Dabei gibt es eine große Bandbreite an Getriebeausführungen. Je nach Forderungen aus dem Einsatzfall können Getriebe auf niedriges Gewicht, hohe Leistung, kleinen Bauraum, höchstmöglichen Wirkungsgrad oder minimales Spiel hin ausgelegt werden. Allerdings führen einige der Forderungen zu sich widersprechenden Merkmalen. Deshalb wird es, wie Herr betont, immer eine große Variantenvielfalt bei Getrieben geben. Den Wettbewerb seitens der Direktantriebe, die sich jüngst einen Marktanteil erobert haben, sieht er gelassen. Schließlich hätten Motor-Getriebe-Kombinationen hinsichtlich der Gestehungskosten und in Bezug auf den Aufwand im laufenden Betrieb, zum Beispiel zur Wärmeregulierung, nach wie vor entscheidende Vorteile. Nach Herrs Ansicht werden Direktantriebe den derzeit schon erreichten Marktanteil von ungefähr 7 bis 10 Prozent kaum nennenswert überschreiten.

Fertigung bestimmt Qualitätsmerkmale 

Wie Fertigungsleiter Thomas Weber ergänzt, bestimmt neben dem Konzept und der Konstruktion vor allem die Fertigung der Einzelteile die Qualität der Getriebe (Bild 1). »Lage von Toleranzen, Genauigkeit von Passungen und Oberflächengüten bei der Paarung von Werkstoffen entscheiden über die Güte eines Getriebes. Diese Merkmale lassen sich zwar in der Konstruktion vorgeben, für deren Einhaltung benötigt man aber die entsprechende Kompetenz in der Fertigung. Deshalb fertigen wir bis auf wenige Standardteile nahezu sämtliche Bauteile unserer Getriebe an unseren beiden Standorten in Kippenheim selbst,« ergänzt Weber.

Dabei liegt der Schwerpunkt im Werk 1, das seit mehreren Jahrzehnten besteht, auf Sonderbauteilen und kundenspezifischen Verzahnungsteilen, im Werk 2 auf Bauteilen für das Programm modularer Standardgetriebe. In Letzterem hat man eine WB 4/2014 www.werkstatt-betrieb.de  Linienfertigung eingerichtet, die nach dem Kanban-Prinzip organisiert ist (Bild 2). In fünf parallelen Fertigungslinien, die jeweils alle für ein Getriebe erforderlichen Fertigungsverfahren und -schritte enthalten, werden die Bauteile in einem schlanken, linearen Durchlauf hergestellt. Im Werk 1 bei den Sondergetrieben arbeitet man hingegen nach dem Werkstattprinzip. In beiden Werken dominieren Drehzentren und Fräsmaschinen von Mazak das Bild.

Dazu erläutert Weber: »Bereits Mitte der 1980er-Jahre hatten wir Drehzentren von Mazak beschafft. Sie entsprachen in der Kosten-Nutzen-Relation, bei der Verfügbarkeit, der Technologie und hinsicht- lich der Servicequalität unseren Forderungen. So verfügten CNC-Drehzentren von Mazak schon vor vielen Jahren über eine große Anzahl an Werkzeugen auf dem Revolver und ermöglichten so eine flexible Fertigung bei minimalen Rüstzeiten. Diese herausragenden Vorteile sind der Grund, warum wir uns bei weiteren Investitionen zunächst an den Maschinen von Mazak orientieren. Sie mussten allerdings in jedem Einzelfall auch dem direkten Vergleich mit Maschinen des Wettbewerbs standhalten. Wie man sieht, haben die Leistungen im Gesamtpaket von Mazak uns immer wieder überzeugt.

Komplettbearbeitung reduziert Kosten und Durchlaufzeiten

Heute bearbeiten die Kippenheimer nahezu sämtliche Bauteile für ihre Getriebe auf insgesamt über 30 Dreh und Fräszentren von Mazak. Von einfachen zweiachsigen Drehmaschinen über komplexe CNC-Drehzentren mit Gegenspindel,Revolver mit Y-Achse und Fräseinheit bis hin zum fünfachsigen Bearbeitungszentrum reicht die Palette bei Neugart.

Für einfachere Drehteile in der Serienfertigung von Standardgetrieben genügen zweiachsige Drehzentren (Bild 2). Insbesondere aber im Werk 1, in dem Sondergetriebe in eher kleineren und mittleren Losgrößen produziert werden, benötigt Neugart eine höhere Flexibilität. Aus diesem Grund nutzt das Unternehmen die Vorteile der Komplettbearbeitung. Sowohl hier wie auch im Werk 2 stehen insgesamt 17 CNC-Drehzentren der Baureihe Quick Turn Nexus in den Baugrößen 100, 200 und 250 in der Variante MSY. Diese Maschinen (Bilder 3 und 4) besitzen eine Gegenspindel (bis 6000 min-1  Drehzahl), einen VDI-Revolver mit zwölf Werkzeugplätzen und eine Fräseinheit für angetriebene Werkzeuge (5,5 kW, Drehzahl bis 6000 min-1 ,Bohr und Fräsdurchmesser bis 16 mm in Stahl). Somit eignen sie sich vorteilhaft für die Komplettbearbeitung von der Stange oder vom Futter. Der Getriebehesteller verfügt derzeit über Drehzentren, die zylindrische und kantige Rohlinge von 5 bis 300 mm Durchmesser beziehungsweise 40 bis 250 mm Eckenmaß bearbeiten können. Von der Stange sind Bauteile bis zu 80 mm Durchmesser möglich. Bearbeitet wird ein großes Spektrum an Bauteilen.

Bei Sondergetrieben betrifft dies unter anderem Rund-Hohlradgehäuse, Zahnräder als Drehteile, ritzelähnliche Bauteile, Wellen, Sondergehäuse für kundenspezifische Getriebe, zum Beispiel für Knochenfräsen. Diese Bauteile bestehen, abgestimmt auf die Kundenforderungen, aus Stahl, Titan, Aluminium oder Kunststoffen. In der Fertigung von Standardgetrieben produziert Neugart auf jedem Drehzentrum jeweils ein spezifisches Werkstück, beispielsweise nur Hohlräder, Planetenräder oder Spannelemente zur Verbindung zwischen Elektromotor und Getriebe. Hier überzeugen Drehzentren von Mazak vor allem durch ihre große Anzahl an Werkzeugen. Auf den mit Y-Achse und Gegenspindel ausgerüsteten Maschinen können bei optimiertem Rüsten nahezu sämtliche Werkstücke in einem Durchlauf komplett bearbeitet werden. Speziell für ein Spannelement (Bild 5) erläutert Weber die Vorteile: »Ehemals mussten wir das Bauteil auf der Vorderseite drehen, anschließend auf der Rückseite. Dann war innen eine Freifräsung einzubringen, um die benötigte Nut zu fräsen. Danach frästen wir außen das Gewinde, anschließend innen ein Gewinde.

Dies alles gelingt nun in einem Ablauf als Komplettbearbeitung auf der Mazak Quick Turn Nexus 200-II MSY.« Gegenüber der ehemaligen Fertigung auf mehreren Maschinen senkt die Komplettbearbeitung die Rüst- und Durchlaufzeiten um bis zu 30 Prozent.Wegen der hohen Antriebsleistungen und optimierter Verfahrwege beim Werkzeugwechsel verringern sich zusätzlich die Bearbeitungszeiten um bis zu 15 Prozent. Als weiteren wesentlichen Vorteil der Komplettbearbeitung nennt Weber die höhere Prozesssicherheit, die besseren Genauigkeiten und den insgesamt wesentlich geringeren Ausschuss (Bild 6). Ähnliche Vorteile verwirklicht der Getriebehersteller bei kubischen Werkstücken wie Gehäusen für Winkelgetriebe auf unterschiedlichen vertikalen Bearbeitungszentren von Mazak (Bild 7). Für sämtliche der über 12 000 unterschiedlichen Getriebeteile, die Neugart inzwischen im Sondergetriebebau fertigt, haben die Fertigungstechniker in Kippenheim Vorichtungen verwirklicht. Wie Herr berichtet, unterstützt hier vor allem die Ausbildungswerkstatt. Auf diese Weise erhalten die Auszubildenen schon früh einen Einblick in die ›reale‹ Fertigungsumgebung.

Automatisierung ausbauen

Die Maschinen von Mazak erachtet Herr bereits in der Standardausführung als ausreichend flexibel, um dieses große Teilespektrum bearbeiten zu können. Allerdings sieht er einen wachsenden Bedarf für Automatisierung. Bisher hat man entsprechende Lösungen, unter anderem eine Roboterbeladung für Räummaschinen, in Kippenheim selbst konzipiert und realisiert. Künftig möchte man aber von den standardisierten Automationseinrichtungen, zum Beispiel Portalladern, von Mazak profitieren. Aufgrund des überdurchschnittlichen Wachstums arbeitet Neugart in Kippenheim zunehmend auch in die dritte Schicht. In dieser will Herr die Maschinen möglichst mannarm oder sogar völlig bedienerlos arbeiten lassen. Bereits im Fertigungsbetrieb bewährte Maschinen will er dafür im eigenen Haus automatisieren. Für dieses Vorhaben sieht er ausreichend Know-how für wirtschaftliche und effiziente Lösungen. Bei künftigen Investitionen möchte er aber die Automation vom Maschinenhersteller beziehen, zumindest die benötigten Schnittstellen konfigurieren und installieren lassen.